Untertageverlagerungen im Harz - eine Vereinsausfahrt
09.10.2009

Ende Mai war es soweit: Die Hamburger Unterwelten starteten zu ihrer diesjährigen Vereinsausfahrt in den Harz. Als Ziel wurden zwei Untertageverlagerungen gewählt. Es sollte die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora mit der U-Verlagerung der V2-Produktion bei Nordhausen besucht werden und anschließend war dann die Besichtigung der Schachtanlagen "Malachit", später Komplexlager 12 der NVA, bei Halberstadt geplant.An einem Samstag um kurz vor 6 Uhr ging es dann mit dem Reisebus los, so dass die Vereinsmitglieder pünktlich zur gebuchten Führung in der Gedenkstätte Mittelbau-Dora ankamen.

Die Führung begann mit einem sehr interessanten Film über die Geschichte vom Außenlager Dora des KZ Buchenwald bis hin zur Befreiung des inzwischen eigenständigen KZ Mittelbau-Dora. Hier waren dann auch Aussagen von Überlebenden integriert. Anschließend wurde anhand eines Models der ehemaligen Anlage des KZs noch einmal die die Geschichte und vor allem die Funktion  ausführlich erläutert.

Bereits 1936 hatte die reichseigene Wirtschaftliche Forschungsgesellschaft (Wifo) begonnen im Kohnstein bei Nordhausen eine umfangreiche Stollenanlage zu erstellen. Hier wurde zunächst von Deutschen Bergarbeitern und nach Kriegsbeginn vornehmlich von ausländischen Kriegsgefangenen zwei Fahrstollen und 46 Querkammern ausgeschachtet, diese sollten ein Treibstofflager der Wehrmacht aufnehmen.  Nachdem in der Nacht vom 17. auf den 18. August 1943 die Heeresversuchsanstalt Peenemünde von Britischen Bombern angegriffen wurde, musste die Produktion der V2-Rakete in eine sicherere Anlage verlegt werden. Hierfür bot sich die Stollenanlage unter dem Kohnstein an. Bereits 10 Tage nach dem Angriff trafen am 28. August 1943 die ersten KZ-Häftlinge aus dem KZ Buchenwald am Kohnstein ein und bildeten das "Arbeitslager Dora"" als Außenlager von Buchenwald. Von einem Lager im eigentlichen Sinne konnte man allerdings nicht sprechen: Da keinerlei Baracken vorhanden waren, wurden die Häftlinge erst in Zelten, dann in einem der Querstollen auf dem nackten Fels untergebracht. Zeitgleich wurde begonnen die Querstollen 43 bis 46 als Schlafstollen auszubauen. Hier wurden vierstöckige Holzpritschen errichtet und die Stollen zum Fahrstollen durch Bretterverschläge abgetrennt. Schon bald waren diese Kammern überbelegt und es herrschten unhaltbare hygienische Zustände. Die Häftlinge mussten 12 Stunden schwerste körperliche Arbeit verrichten und wurden dann gegen die Häftlinge in den Schlafkammern ausgetauscht. Hier herrschte eine hohe Todesrate, von 60.000 Häftlingen die von August 1943 bis zum März 1945 das Lager Mittelbau-Dora durchliefen, überlebten nach vorsichtigen Schätzungen mindestens 20.000 nicht. Oft wurden Häftlinge, die direkt an der Arbeitsstelle beim Stollenbau verstarben, einfach mit einbetoniert. Nach Schätzungen könnte es sich um bis zu 400 Leichen handeln, die noch in den Stollenanlagen liegen. Nachdem dann die V2-Produktion angelaufen ist, wurden die Lebensbedingungen etwas besser. Die Barackenanlage war fertig gestellt und die Häftlinge mussten nicht mehr in den Stollen hausen. Ende Oktober 1944 wurde das Außenlager Dora als letztes KZ des nationalsozialistischen Regimes zum eigenständigen Lager Mittelbau. Das KZ Mittelbau wurde am 11. April 1945 von der US-Armee befreit, allerdings war das Lager mit Todesmärschen nach Bergen-Belsen größtenteils geräumt worden.  Die Amerikaner sicherten sich die Unterlagen und die erste Garde der Raketenwissenschaftler und übergaben das Gebiet dann planmäßig am 1. Juli 1945 der Sowjetarmee. Nachdem die Sowjets die Anlagen aus den Stollen demontiert hatten, wurden diese durch Sprengungen unbrauchbar gemacht. Hierbei wurden aber nur einige Querstollen und vor allem die Eingangsabschnitte der Fahrstollen zerstört.

Mitte der 60er Jahre wurde dann angefangen eine Gedenkstätte und eine Ausstellung auf dem Gelände zu errichten. Allerdings wurde diese sehr von der SED zu politischen Zwecken gegen die Bundesrepublik genutzt. 1988 begann man einen neuen Zugangstollen zu graben, musste dieses Unterfangen aber bald aus finanziellen Gründen einstellen. Nach der Wiedervereinigung wurde die Gedenkstätte komplett neu konzipiert und ausgebaut. Bis 1994 wurde dann auch der neue Zugangstollen fertig gestellt und seit 1995 können geführte Touren in einen kleinen Teil der Stollenanlage durgeführt werden.

Dies war dann auch der nächste Programpunkt für die Hamburger Unterwelten. Durch denn neuerbauten Eingangsstollen, beginnend am ehemaligen Fahrschacht B führt er schräg zum Fahrschacht A direkt hinter den gesprengten Bereich, begann die Untertageführung. Im ehemaligen Fahrschacht veranschaulicht ein Model der Stollenanlage die immense Größe des Komplexes. Heute ist von den über 20 km Stollen nur noch ein sehr kleiner Bereich begehbar. Dieser wurde aber so wenig wie möglich durch die Gedenkstelle verändert. So ist ein Einblick in die Schlafstollen möglich wie sie nach der Öffnung vorgefunden wurden. Große Teile der Anlage stehen heute sehr hoch unter Wasser und können daher nicht mehr begangen werden. In der Anlage sind auch noch Reste eines Raketenantriebs ausgestellt und andere Maschinenteile die seit der Räumung der Anlage bei Kriegsende hier lagerten. Durch den sehr kompetenten Referenten der Gedenkstätte wurde den Vereinsmitgliedern die Stollenanlage umfassend erklärt und es blieb auch keine der vielen Fragen unbeantwortet. Nach einer sehr langen Zeit in den Stollen zwang die nachfolgende Gruppe leider die Unterweltler wieder aus der Anlage. Allerdings war auch die geplante Zeit für die Führung in der Gedenkstätte längst überschritten und da noch ein weiterer Programpunkt anstand, musste leider die ausführliche Besichtigung des Freigeländes auf einen späteren Besuch verschoben werden.

So hat aber jedes Mitglied einen guten Grund diese beindruckende aber auch bedrückende Gedenkstelle zu der dunkelsten Zeit der Deutschen Geschichte noch einmal zu besuchen.


Weiter ging es nun mit dem Bus nach Halberstadt um eine weitere, geplante Untertageverlagerung zu besichtigen. Mitten in der Einöde befindet sich das Gelände Rund um den Thekenberg. Hier wurde 1944 die U-Verlagerung "Malachit" geplant und auch gebaut. Es sollte eine im Berg geschützte Produktionsstätte für die Junkers Motorenwerke Dessau und für die BMW Motorenwerke Berlin-Spandau geschaffen werden. Dem Baubeginn am 21. April 1944 muss schon seit Beginn der U-Verlagerungen eine lange Planung voraus gegangen sein. Eingestellt wurden die Arbeiten am 11. April 1945. In dieser kurzen Zeit von weniger als einem Jahr wurden mehr als 12 km Stollen fertig gestellt und ca. 400.000m³ Gestein bewegt. Es waren bereits 67.000m² der geplanten 72.000m² Fläche fertiggestellt. Auf 2.500m² wurde bereits produziert.  In diesem einen Jahr fanden ca. 7.000 Menschen den Tod bei den Arbeiten. Heute erinnert in Langenstein-Zwieberge eine Gedenkstätte an diese Häftlinge. Auch ein Teil der Stollenanlage gehört heute zu der Gedenkstätte.

Nach Kriegsende wurden die Anlagen von den Sowjets komplett demontiert und dann das Stollensystem für die Sprengung vorgesehen. Allerdings wäre das Waldgebiet auf dem Thekenberg komplett in eine Kraterlandschaft verwandelt worden und da dies von der Halberstädter Bevölkerung als Naherholungsgebiet genutzt wurde, konnten die Sowjets von der kompletten Sprengung abgehalten werden. Sie führten nur kleine Sprengungen durch um die Stollen unbrauchbar zu machen.

Für viele Jahre wurde es dann ruhig um die Anlage bis die Nationale Volksarmee der DDR (NVA) 1976 die Anlage übernahm und ab 1977 begann die Stollen zu einem Komplexlager auszubauen. Das Komplexlager KL-12 wurde im Mai 1983 fertig gestellt und zur Lagerung von kriegswichtigem Gerät, Bekleidung und Munition genutzt. Aus Geldmangel wurde allerdings nur ca. die Hälfte der Stollen ausgebaut. Im nicht ausgebauten Teil wurden nur die Hauptstollen für die Bewetterung eingesetzt. Nach der Wende wurde die Anlage von der Bundeswehr als  Bundesluftwaffendepot 52 übernommen und bis 1995 genutzt. Dann wurde die Anlage endgültig vom Militär verlassen und die 50-jährige militärische Nutzung von "Malachit" endete.

Allerdings begannen damit auch die Probleme: Bereits 1990/1991 hatte man das gesamte Papiergeld der DDR und auch die Sparbücher in den Stollen eingelagert, mit Kies vermischt und eingemauert. 1999 gelang es allerdings zwei Halberstädtern in die Stollen einzudringen und das Geheimnis um das Geld gelangte an die Öffentlichkeit. Nun wurde das Geld wieder aus den Stollen entfernt und in einer Verbrennungsanlage endgültig entsorgt. Dies dauerte bis Juni 2002.

Inzwischen befindet sich die Anlage in Privatbesitz und sieht einer ungewissen Zukunft entgegen. In die Schlagzeilen geriet sie noch einmal als hier verbotener Weise Sondermüll eingelagert wurde. Ansonsten steht der jetzige Besitzer in einem ständigen Kampf mit Plünderern, die auf dem unübersichtlichen Gelände in die Stollen eindringen und die letzten Relikte der Nutzung als Komplexlager entwenden.

Diese Anlage wollten nun die Mitglieder der Hamburger Unterwelten erkunden. Bei der Ankunft wurde die Gruppe schon vom jetzigen Besitzer erwartet und zur Gedenkstätte an einem Stolleneingang geleitet. Dort gab es einige einführende Worte zur Anlage und dem Gelände. Weiter ging es dann mit dem Reisebus zu einem anderen Eingang in die Anlage - zur Nachtigallenschlucht. Den Busfahrern wurde etwas anders als der Besitzer der Anlage mitteilte, dass die Einfahrt in die Anlage mit dem Bus bewerkstelligt werden solle und es in der Anlage auch eine Wendemöglichkeit gäbe. Trotz der Skepsis der Busfahrer gingen diese das Risiko ein und fuhren durch die recht enge Schlucht in die Anlage ein. Der Besitzer sollte dann auch recht behalten, auch der große Reisebus passte in die Anlage. Nach einigen hundert Metern hieß es dann aussteigen und die Anlage zu Fuß erkunden. Es schloss sich dann eine sehr interessante Führung durch den Bereich des Komplexlagers an in deren Verlauf vor allem die Funktionsräume sehr ausführlich begutachtet wurden.

 

Nach umfangreichen Erklärungen und Erkundungen des ausgebauten Bereichs hatten die Vereinsmitglieder die Möglichkeit, mit entsprechender Schutzausrüstung, auch die abgeworfenen Stollenbereiche zu erkunden. Hier waren gut die Sprengungen der Sowjets zu erkennen, aber auch noch sehr schön gemauerte Kreuzgewölbe an den Stollenübergängen.

 

Nach guten drei Stunden ging dann auch dieser Teil der Vereinsausfahrt zu Ende. Nachdem der Reisebus die Anlage wirklich unbeschadet verlassen konnte, begann die Rückreise nach Hamburg. Hier trafen dann die müden aber auch sehr glücklichen Unterweltler am späten Abend wieder ein.

Ein Dank geht selbstverständlich an die Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora, hier besonders an den sehr kompetenten Referenten, der der Gruppe sehr gut die Geschichte näher bringen konnte.  Auch gebührt der Dank dem Besitzer der ehemaligen U-Verlagerung Malachit, der seine Zeit geopfert hat um sich Löcher in den Bauch fragen zu lassen.

Der ganz besondere Dank der Vereinsmitglieder geht an die Geschäftsstelle des Vereins. Diese hat einen unvergesslichen Tag für alle Mitfahrer organisiert!

Quellen:
Zwangsarbeit für den "Endsieg" - Das KZ Mittelbau-Dora 1943-1945, Autor: Jens-Christian Wagner, 2006, ISBN 3-931426-98-X
Homepage der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora
geschichtsspuren.de -  U-Verlagerung Malachit / Komplexlager KL-12
Die Grubenarchäologische Gesellschaft - Untertageverlagerungen der Rüstungsindustrie im südlichen Niedersachsen

 
 

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