Die Gewölbe unter St.Nikolai
Geschrieben von Michael Grube   
07.12.2009

Blick in die GewölbeDie Ruine der Kirche St. Nikolai ist sicherlich nicht nur das augenfälligste, sondern auch das bekannteste und vielleicht wichtigste Mahnmal gegen den Krieg in ganz Hamburg.  Dass dieses Bauwerk auch eine ungewöhnliche, ganz weltliche Geschichte und vor allem unterirdische Geschichte besitzt, ist relativ unbekannt.

Die Kirchengemeinde St. Nikolai entstand bereits im Jahr 1195 mit dem Bau einer kleinen, dem Schutzpatron der Schiffer und Kaufleute gewidmeten Kapelle am damaligen Hamburger Hafen.  Im Jahr 1385, einhundertneunzig Jahre später, wurde die Kapelle zu einer dreischiffigen Backsteinkirche erweitert, 1517 wurde der Bau des ersten Turms vollendet. Als im Jahr 1589 der  Kirchturm vom Blitz getroffen wurde und abbrannte, stürzten auch die acht Glocken in die Tiefe. Umgehend begannen die Hamburger, für den Wiederaufbau zu sammeln, doch bereits  rund sechzig Jahre später (1644) stürzte der Kirchturm nach einem Sturm erneut ein. Erneut erlaubten Spenden den Wiederaufbau, der 1657 abgeschlossen werden konnte. Während der französischen Besatzungszeit zwischen 1812 und 1814 wurde die Kirche als Pferdestallung benutzt und mußte nach Abzug der Truppen erneut geweiht werden.

Der große Brand von 1842 zerstörte auch St. Nikolai – diesmal vollständig. In einem Wettbewerb wurden Entwürfe für den Neubau gesammelt. Den Zuschlag der Baukommission   erhielt schließlich der Brite Sir George  Gilbert Scott, obwohl er den Wettbewerb formal gar nicht gewonnen hatte. 1846 wurde mit dem Neuaufbau begonnen, vier der benötigten fünf Millionen Mark brachten die Hamburger erneut durch Spenden auf. Im Jahr 1874 wurde der Kirchturm von St. Nikolai mit 147,30m als damals höchstes Gebäude der Welt fertig gestellt. Kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs im Jahr 1918 wurden die vierunddreißig Glocken des Kirchengeläuts vom Turm geholt und für die Rüstungsproduktion eingeschmolzen. Erst neun Jahre später konnte auf einer Tombola im Rahmen eines Volksfestes genug Geld gesammelt werden, um der Kirche sechs neue Glocken zu stiften.

Die zerstörte Nikolaikirche 1943Im Zweiten Weltkrieg wurde das Kirchenschiff während der Feuersturm-Angriffe der alliierten „Operation Gomorrha“ am 28. Juli 1943 von Fliegerbomben getroffen. Das Dach wurde zerstört, stürzte ein und die Kirche brannte komplett aus. Der Turm, der Chorraum und Teile des Kirchenschiffs blieben zwar erhalten, waren aber schwer geschädigt. In den Folgejahren verfiel die Ruine immer mehr, so daß 1951 das Kirchenschiff gesprengt werden mußte. Die Trümmer wurden fortgeschafft und dienten für den Ufer- und Deichbau an der Elbe. Nach Diskussionen über einen Wiederaufbau wurde die Kirchengemeinde 1956 schließlich umgesiedelt und am Klosterstern eine neue Kirche St. Nikolai errichtet. Schon damals entstand die Idee, die Kirchenruine als Gedenkort zu erhalten und 1957 einigten sich Landeskirche und Stadt, den Kirchturm zu erhalten. Die baulich notwendigen Sicherungsarbeiten wurden 1966 abgeschlossen. Bis zur offiziellen Übergabe der Gedenkstätte sollten weitere elf Jahre ins Land gegen.

Heute ist die alte Hauptkirche ein Mahnmal gegen Krieg und Gewaltherrschaft während des „Dritten Reiches“. 1984 wurde der gemeinnützige Förderkreis "Rettet die Nikolaikirche" e.V. gegründet, um den fortschreitenden Verfall von Alt-Nikolai zu stoppen. Im Jahr 2000 konnten darüber hinaus Teile der Kirche wieder aus der Elbe geborgen werden, darunter Treppenfragmente, verzierte Bögen und Figuren. Sie stehen heute wieder – soweit möglich – an ihren ursprünglichen Plätzen. Auch die Krypta wurde vorsichtig wieder freigelegt. In diesem Teil der ehemaligen Kellergewölbe finden heute Ausstellungen und Veranstaltungen des Förderkreises statt. Das hier beheimatete Dokumentationszentrum bietet eine Vielzahl an Informationen über die Kirchengeschichte und den Feuersturm in Hamburg. Als Schutz vor dem Wetter wurde der Zugang mit einer pyramidenförmigen Kuppel aus Glas und Stahl überdacht. Seit September 2005 bringt ein im Turminneren installierter Panorama-Fahrstuhl Besucher auf eine Aussichtsplattform in 75,30 Meter Höhe.

Aufmerksamen Besuchern mögen vielleicht schon einmal einige graue Stahltüren aufgefallen sein, die sich im Bereich des Fußgängerwegs an der Willy-Brandt-Straße befinden. Mancher wird sich vielleicht sogar erinnern, hier einmal ein gutes Fläschchen Wein erstanden zu haben. Und tatsächlich führen hinter einer Tür Stufen hinab ins Dunkel. Ein kleines Förderband neben der Treppe, eine weitere Tür, noch ein paar Stufen und – Finsternis. Der Strom ist schon lange abgestellt, nur durch einige Lüftungsöffnungen fällt der eine oder andere, spärliche Lichtstrahl. Bereits im Jahr 1885 demontierte man die großen Öfen in den Kellergewölben und ersetzte diese durch eine modernere Heizungsanlage. Große Teile des Kirchenkellers wurden hierdurch frei und dienten ab 1886 mehreren alteingesessenen Weinhandlungen als Lagerkeller.

Arbeit im Weinkeller, um 1930Ein Zollbeamter überwacht die unverzollte Ware
 
In den Kellergewölben residierte bis Mitte 2005 Hamburg älteste, damals noch existierende  Weinhandlung C.C.F. Fischer (Motto: „Wer froher Stimmung möchte sein, der trink' C.C.F. Fischer-Wein“). Der Betrieb wurde 1828 gegründet, die Ursprünge reichen zurück bis ins Jahr 1728. Die Firma pachtete die Gewölbe unter St. Nikolai im Jahr 1926 als Weinkeller an. Hunderttausende Flaschen lagerten in diesen Gewölben, darunter auch solche in speziellen Fass- und Flaschenlagern für unverzollte spanische und französische Weine, streng überwacht durch die Hamburger Zollbehörde. Neben verschiedensten Weinsorten gehörte auch edler Cognac, Sherry und Madeira zum Programm.

Als das Bauwerk 1943 zu großen Teilen zerstört wurde, war hiervon auch die Weinhandlung betroffen. Der Betrieb zog sich in die unzerstörten Bereiche der Gewölbe zurück und machte dort weiter. Erst 1944 kam der Betrieb für einige Zeit zum Erliegen. Nach dem Krieg reparierte man die Schäden an der Gewölbedecke, zum Teil  unter Verwendung von Materialien der zerstörten Häuser der Umgebung. Eine Restaurierung war damals aus nahe liegenden Gründen unmöglich. In den besten Zeiten lagerten in den Gewölben mehr als 350 Weinsorten in rund 650.000 Flaschen und Fässern mit einer Kapazität von rund 250.000 Litern bei in Sommer wie Winter gleich bleibend idealen Bedingungen von 12°-14°C bei etwa 75% Luftfeuchtigkeit.

Blick in den EingangsbereichEhemalige Verkaufsregale beherbergen Hinterlassenschaften der Weinhandlung
Alte Weinfässer vor dem VerkostungsraumBlick in die Gewölbe 

Auch während der Sprengungen zur Sicherung der Kirchenruine im Jahr 1951 blieb das Weinlager in den Gewölben. Wein will Ruhe haben, ein Transport hätte der Qualität schaden können. Der Eigentümer ging das Risiko ein und behielt zunächst Recht. Selbst aus einer Höhe von 30 Meter  herabfallende 30-Tonnen-Brocken durchschlugen die eigens mit 78 starken Holzpfeilern abgestützte Decke nicht. Ein Jahr später wurde dann aber doch rund ein Drittel der Kellerfläche verschüttet, bis 1954 war wieder alles repariert.

Weinpreisliste 1966 - auf dem Titelblatt der VerkostungsraumIm Laufe der Jahre folgten weitere Reparaturen an den Gewölben, zuletzt während der Neugestaltung des ehemaligen Kircheninneren als für die Öffentlichkeit zugänglichen Bereich. Obwohl C.C.F. Fischer hauptsächlich vom Export lebte und weniger von typischer Laufkundschaft, hatte das Unternehmen in den Gewölben im Laufe der Jahre viele Gerätschaften aus der Geschichte des Rebensaftes zu einem kleinen Weinmuseum zusammen getragen – darunter auch so seltene Stücke wie eine hölzerne Weinkelter aus dem Jahr 1821, die der Chef der Weinhandlung 1976 vom Rhein nach Hamburg geholt hatte.

Falschenetikett mit Bezug zu St.NikolaiMitte 2005 mußte das renommierte Traditionsunternehmen Insolvenz anmelden, als ein Großkunde zahlungsunfähig wurde. C.C.F. Fischer zog aus den Gewölben aus, mußte aber aufgrund der finanziellen Situation Einrichtung und Ware größtenteils zurücklassen. Heute steht und liegt noch immer fast alles unverändert in den Gewölben. Fast könnte man glauben, gestern hätte jemand das Licht ausgemacht und morgen ginge der Betrieb weiter. Doch der Eindruck täuscht, eine erneute Nutzung als Weinkeller ist leider eher unwahrscheinlich. Im September 2009 hatte der Hamburger Unterwelten e.V. die vielleicht einmalige Chance, der Öffentlichkeit dieses unterirdische Kleinod im Rahmen des Tages des offenen Denkmals kurzzeitig zugänglich zu machen. Und vielleich findet sich ja doch bald ein Käufer bzw. Mieter mit Visionen, der dieser Perle wieder Leben einhaucht - z.B. als Restaurant oder Event-Location. Bis dahin liegen die Räume weiter im Dornröschenschlaf.

 

Nachtrag:

Im September 2013, im siebzigsten Jahr nach den verheerenden Luftangriffen, eröffnete in den Gewölben des Mahnmals eine überarbeitete und erweiterte, sehr sehenswerte Ausstellung zur "Operation Gomorrha". Auch der Zugang zu den Ausstellungsräumen ist neu gestaltet worden: die Glaspyramide wurde durch einen zeitgemäßen Eingang ersetzt. Der Verein "Rettet die Nikolaikirche" hat sich schon vor einigen Jahren umbenannt in "Förderkreis Mahnmal St. Nikolai e.V.".

Auch der alte Weinkeller wird vom Förderkreis regelmäßig für Sonderveranstaltungen genutzt, so dass sich hin und wieder die Gelegenheit ergibt, diese Räume betreten zu können. Einge der Hinterlassenschaften von C.C.F. Fischer sind dort noch immer zu sehen.

Ab dem Herbst 2017 sollen aber auch diese Räume renoviert und neu gestaltet werden, offenbar mit dem Ziel, die Gewölbe anschliessend wieder vermieten zu können. Womöglich zieht dann nach langem Leerstand wieder eine Weinhandlung dort ein. 

 

 

Quellen:
Die WELT, 7.6.2006
Hamburger Abendblatt, 3.9.1969, 10.4.1976, 6.5.1980, 28.6.1995, 7.7.2005
Hamburg und seine Bauten, Architekten- und Ingenieurverein Hamburg, 1890
Hamburger Fremdenblatt 25.3.1933, 20.12.1936
Morgenpost, 6.6.1951
Hamburger Freie Presse, 7.6.1951
Die Welt, 7.6.1951
Hamburger Anzeiger, 28.12.1954
Hamburger Tageblatt, 6.11.1935
Weinblatt, 6.12.1938, 22-10.1955
Denkmalschutzamt Hamburg
Versch. Zeitzeugenbefragungen
Förderkreis Mahnmal St. Nikolai e.V.

 
 

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